Bereits die Inszenierung von „Faust I und II“ von Johann Wolfgang von Goethe wäre ein Superlativ gewesen und würde so schon zu den Theaterereignissen des Jahres 2012 zählen. Doch diese Inszenierung des „Faust“, unter der Regie von Nicolas Stemann und in Koproduktion mit den Salzburger Festspielen im Hamburger Thalia Theater, wartet noch mit weiteren Superlativen auf. Sie wurde als beste Inszenierung des Jahres 2012 ausgezeichnet. Der Dramaturg des „Faust“, Benjamin von Blomberg, wurde bester Dramaturg des Jahres. Doch damit nicht genug. Der Hauptdarsteller, Sebastian Rudolph, wurde Schauspieler des Jahres 2012.
Der erste Teil des „Faust“ ist vielleicht vielen aus der Schule bekannt und wird öfter aufgeführt. Legendär ist die Inszenierung von Gustav Gründgens am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, sowie deren Verfilmung (1960). „Faust II“ gilt als unspielbar, nicht zuletzt wegen seiner Länge.
Collage aus Hörspiel und Rap
In Hamburg gibt es nun die Möglichkeit, entweder die Teile einzeln oder im Doppelpack anzuschauen (Dauer 8.15 Stunden!). Ich hatte mir beide Teile an verschiedenen Abenden angeschaut und war begeistert.
Begeistert, wie zeitgemäß alter Stoff modern und lebendig auf die Bühne gebracht werden kann und zudem geglückt, da der Text Goethes gewahrt bleibt. Im Verlauf der Aufführung werden anhand von seitlich am Bühnenrand gezeichneten Strichen, die Verse mitgezählt. So kommen wir bei „Faust I“ auf 4.614 Verse und bei „Faust II“ auf 12.111. Die einzelnen Kapitel und bestimmte Verse werden übertitelt. So ist man, wenn man mal vielleicht etwas abgeschaltet hat, immer auf dem Laufenden, an welcher Stelle sich gerade das Stück befindet ;) Die musikalischen Einlagen tragen zur Auflockerung bei. Zusammenfassend könnte man von der Inszenierung als Collage von Hörspiel und Rap sprechen.
Darstellung des Faust mit spielerischer Leichtigkeit und viel Witz
Der Hauptdarsteller des „Faust“, Sebastian Rudolph, beginnt auf der Bühne, sozusagen stellvertretend für den Zuschauer, den Text neu zu entdecken und bringt ihn dann mit spielerischer Leichtigkeit und viel Witz auf die Bühne. Mir war an beiden Abenden nicht im geringsten langweilig. Verstörende Vertauschungen gibt es bei einigen Rollen. Ich denke aber, dieses ist einer psychologischen Deutung geschuldet: Wie viele Seelen trägt Faust beispielsweise wirklich in seiner Brust? Sind es sogar mehr als zwei?
Bevor ich die beiden Teile sah, fragte ich mich, wie aktuell das Stück heute noch ist, abgesehen von der zeitlosen Schönheit der Sprache. Nach dem Besuch der Aufführungen würde ich sagen, aktueller denn je. Ich habe verweilt, bis zum Vers 16.725, was Faust selbst eigentlich für sich nicht wollte – „verweilen“. Mein Tipp: unbedingt auch Faust II ansehen. Hamburg ist einmal mehr eine Reise wert. Chapeau! Hut ab, Thalia ;)
Als „Appetizer“ gibt es einen Trailer zu den öffentlichen Probeaufnahmen zu Faust I+II vom 22.10.2010 mit Nicolaus Stemann und dem Faust-Ensemble im Thalia Theater in Hamburg auf dem Youtube-Kanal der Salzburger Festspiele. Viel Spaß!
Wobei es schon einer gewissen Anstrengung bedarf bis sich einem die Schönheit der Sprache Goethes in all ihren Feinheiten in Gänze erschließt, wie diese beiden Herren hier eindrucksvoll zeigen :-)
Und was die Aktualität von Goethes Faust betrifft, kann ich auf einen Text des Politikwissenschaftlers Ekkehart Krippendorff verweisen, der dieses Thema jenseits von allen modischen Interpretationsversuchen behandelt.
Hallo Herr Heße,
vielen Dank für Ihren Kommentar! Die Darbietung von Michael Quast und Philipp Mosetter von Faust I ist sehr gelungen. Vielen Dank auch für den Text von Ekkehart Krippendorff. Es gibt sie doch, die Faustkommentare, die kürzer als ganze Bücher sind;)
Jede Generation betrachtet den Faust mit den eigenen Augen. Wobei sich oft eher die Schwerpunkte der Betrachtung ändern als die Themen als solche. Eine Inszenierung oder Darstellung (egal von was) gibt immer eine Interpretation wieder. Aber das ja auch etwas sehr Spannendes: Interpretation im Diskurs.
Viele Grüße,
Ulrich Hinck
Kundenservice
Lieber Ulrich,
dein Artikel ist mit Herzblut geschrieben, die Begeisterung förmlich greifbar, sehr schön auch die Links, macht Lust auf Kultur, danke dir für den Hinweis.